Nordkapp und Karelien im Sommer 2018.

Wieder sitze ich vor einem leeren Blatt Papier (natürlich in Gestalt eines Word-Dokuments mit dem Dateinamen „Nordkapp und Russland 2018“). Inzwischen haben wir Februar 2019 und unsere Sommerreise 2018 liegt schon ein halbes Jahr hinter uns: Mit der Fähre geht es über den vertrauten Fährhafen Lübeck-Travemünde nach Helsinki, dann durch die im Südwesten Finnlands gelegenen Turkuer Schären, weiter entlang des bottnischen Meerbusens an der Westküste Finnlands nach Norden, durch Lappland nach Norwegen und zum Nordkapp. Von dort nach Osten über Kirkenes nach Russland und Murmansk und in den Nordosten auf die Kola-Halbinsel. Dann weiter nach Süden durch Karelien, am weißen Meer und am Ladogasee entlang zum Sightseeing St. Petersburg, von hier noch zur Städtetour in Helsinki und mit der Fähre zurück nach Deutschland. Auch wenn ich mich wie in jedem Reisebericht wiederhole: die rund 6.500 km für die Rundreise sind nicht das Thema, aber in den etwas mehr als vier Wochen hätte man noch so viel mehr sehen können, aber es bleibt eine schöne Reiseerinnerung und die Neugier auf eine eher ungewöhnliche Reiseregion ganz hoch im Norden Europas.

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Mit unserer Ankunft in Helsinki beschließen wir direkt weiter zu fahren. Das gerade stattfindende Treffen zwischen den Präsidenten Putin und  Trump verändert ja eine Stadt sehr, zu gut erinnere ich mich an den Obama Besuch in Berlin. Daher haben wir unser Sightseeing Helsinki und St. Petersburg bewusst an das Ende unserer Reise gepackt. Es geht also nach Westen über Turku auf die finnischen Schären mit rund 20.000 Felseninseln der größte Schärengarten Europas und ein wirkliches Muss.

Wir wählen die sehr schöne (touristisch noch eher unbekannte) 200 km lange Ringstraße über die Inseln. Kleine Fähren und zahllose Brücken verbinden diese, teilweise hat man in 5 Minuten eine Insel überquert und fährt schon auf die nächste Fähre. Die längste Überfahrt dauert rund eine Stunde. Als Stellplätze bieten sich Wälder mit einsamen Buchten oder die kleinen Häfen an. Baden bei diesen Temperaturen ist kein Problem. Auch auf der Weiterfahrt entlang der finnischen Küste nach Norden bis Oulu finden sich interessante kleine Orte mit vielen Holzhäusern oder das unbedingt zu besuchende Kvarken-Archipel – eine UNESCO-Welterbestätte. Auch sehr interessant, das sehenswerte arktische Museum Nanoq .

In Oulu vergrößert sich dann unserer Reisegruppe: Frederike wollte dann doch nicht das Nordkapp Ihrem jüngeren Bruder alleine überlassen, so das wir die nächsten Wochen zu viert unterwegs sind. Nach Verlassen der Küste wird es langweilig. Stundenlange Fahrt durch endlose Wälder, die Straße immer geradeaus, unterbrochen von der ersten Überquerung des Polarkreises in Finnland. Genau so schnell wie wir hier auf den Parkplatz gefahren sind, haben wir ihn wieder verlassen: Touristenbusse, viele Häuser des Weihnachtsmanns, allen Kitsch den man sich nicht nur in unserem Kulturkreis vorstellen kann. Die zweite Querung des Polarkreises in Russland liegt ja noch vor uns, also bloß weg hier.

Der weitere Weg durch den Norden Finnlands und Norwegens zieht sich durch „viel bewaltete Landschaft“, unterbrochen von wunderschönen einsamen Stellplätzen „mit Aussicht“. Im krassen Gegensatz dann dazu das Nordkapp: Alles natürlich sehr touristisch, selbst um Mitternacht noch 10 Busse vor Ort, aber wenn wir schon dort sind, ist der Nichtbesuch keine Alternative. Also die bezahlbare Übernachtung zwischen all den klassischen Wohnmobilen direkt auf dem Gelände und einem schönen Abendessen, denn irgend jemand aus unserer kleinen Reisegruppe feierte einen runden Geburtstag (Anm.: ein Jahr zuvor feierten wir den Geburtstag übrigens 4.200 km Luftlinie südöstlicher genau hier). Gegen Abend zieht dann auch passender Nebel auf. Die Weiterfahrt am nächsten Morgen Richtung Osten fällt nicht schwer, aber wir war jetzt einmal da, neben all den zahllosen Busreisenden und Kreuzfahrttouristen. Die Fahrt entlang der Küste ist einsam, unterbrochen von Orten die auch durch die Hurtigruten angesteuert werden und schönen Stellplätzen direkt an den Buchten der Barentssee. Zugegeben, die genommene Badezeit dort reduziert sich trotz Sonne und Sommer auf maximal einmal ein- nicht mal untertauchen.

Kirkenes als Sprungbrett nach Russland und Murmansk ist mit seinen rund 3.400 Einwohnern eher klein und wenn wir nicht so einen schönen Sommer hätten, bestimmt viel trister. Aber es ist schon interessant, wie man sich einen Ort vorstellt und wie er sich dann in der Realität erlebt. Nach der Übernachtung direkt in Kirkenes (auch hier ist freies Stehen zentral im Ort mit Blick auf den Hafen kein Problem) geht es über den kleinen Grenzübergang nach Russland. Immer wieder sind Grenzen spannend. Der Übergang gestaltet sich ganz oben im Norden Europas vollkommen problemlos und erfolgt auf beiden Seiten sehr professionell und schnell, einzig den Karton mit Eiern haben wir vergessen. Jetzt sind wir doch mit den Visa in den Pässen bereits eingereist, das Fahrzeug formal jedoch nicht und die Fahrzeugkontrolle hat sie entdeckt: (nicht mehr dran gedachte) ungekochte Eier. Eine Entsorgung ist jedoch aus Hygienegründen auf russischer Seite nicht möglich, unser Visa erlaubt aber nicht eine mehrmalige Ein-/Ausreise. Das ganze Thema wird wie folgt gelöst: Unter der Aufsicht eines freundlichen russischen Grenzbeamten darf ich mit dem Eierkarton auf die russische Ausreiseseite. Die Beamten sprechen hier russische Ausreisende an, ob sie die Eier mit auf die finnische Seite nehmen und dort in dem aufgestellten Lebensmittelcontainer VOR ihrer Einreise in Finnland fachgerecht entsorgen. Einem freundlichen Ehepaar übergebe ich die Eier und so ist auch das Ei-Problem gelöst. Im Nachhinein fällt ein, das wir die Eier eigentlich auch in gekochter oder gebratener Form im Grenzbereich hätten essen können.

Die Weiterreise nach Murmansk führt oft durch Orte, wie wir sie uns vorstellen: der Charme grosser Wohneinheiten in Sowjet-Architektur, überall ein äußerst hoher Instandhaltungsstau, viel Militär mit noch mehr Fahrzeugen. Im Nachhinein haben wir gelernt, das wir die an der Grenze geforderte direkte und schnelle Durchfahrt bis Murmansk besser für die Fischerinseln mit äußerst beliebtem offroad-Gebiet und das tiefste Bohrloch der Welt hätten unterbrechen sollen. Also beim nächsten Mal werden wir bestimmt da vorbeischauen. Allen Reisenden sei empfohlen, es einfach mal auszuprobieren, wie weit man aktuell dort auch solche Gegenden besuchen kann. Mehr, als an eine Schranke oder von einer Streife zurückgewiesen zu werden, kann nicht passieren.

Dann sind wir in Murmansk, eine typisch russische Nordmeerstadt. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie es sich in den langen dunklen und kalten Jahreszeiten dort lebt. Die aktuellen Temperaturen sind eher frühlingshaft. Übernachten auf einem ausgewiesenen Hotelparkplatz (dem baikalsprinter erneut Danke für den Austausch und die hilfreichen Tipps nicht nur zu Murmansk) und von hier ein Stück auf die Kola-Halbinsel nach Teriberka. Zwischendurch immer wieder freies Stehen inmitten einer weiten Landschaft und weiterfahren zum nächsten Highlight der Reise, diesmal südlich von Kirovsk: drei bis vier Stunden auf immer schlechter werdender Piste mit Intermezzo auf einem alten Militärflugplatz kommen wir in ein namenloses Sommerdorf mit Holzhäusern, freundlich interessierten Menschen, einer Bootsfahrt und noch viel mehr. Sind wir doch seit mehr als 15 Jahren wieder einmal die ersten Fremden im Ort.

Über die Weiterfahrt gibt es noch soviel zu erzählen, aber die wichtigen Anlaufpunkte sind das weiße Meer mit dem unbedingt zu empfehlenden Besuch der Kloster-Insel Solovetsky, die Stadt Petrosawosk, die Beschäftigung mit den Wepsen, einer finno-ugrischen Volksminderheit und schließlich der mit 17.700 km² größte See Europas: der Lagodasee. Dazwischen endloses Karelien mit seinen Wälder. Ständiger Begleiter ist der zweite Weltkrieg und der russisch-finnische Krieg: zahllose Denkmäler an der einzigen, übrigens sehr gut ausgebauten Straße nach Süden. Die Erinnerung wird noch intensiver, fährt man 10 – 15 Kilometer in die Wälder hinein, auf Wegen, bei denen man sich fragt, ob er nicht gleich endet. Auf dem Weg immer wieder Gedenkstätten mit Kreuzen, Blumen, verrosteten Helmen und dann im Nirgendwo ganz am Ende ein russisches Sommerdorf mit Holzhäusern und einer besonders großen Gedenkstätte mit mehr als 1.000 Gräbern. Das Übernachten in diesen Wäldern, in denen man noch gut die Schützengraben und eingefallenen Unterstände unter alle dem Moos erkennen kann, macht doch sehr nachdenklich.

Und dann St. Petersburg: der Gegensatz nach den mehr als drei Wochen Ruhe und Weite. Mitten hinein in die Stadt zum Hotel Elizar, einem empfohlenen Platz für Wohnmobile. Da wird es doch recht eng, startete doch hier gerade eine Seaways-Wohnmobil-Karawane von St. Petersburg über das Kaspische zum schwarzen Meer. Die zwei Übernachtungen in St. Petersburg sind toll, Fahrten mit der U-Bahn oder Uber problemlos. Als Touristen halten wir uns natürlich an die St. Petersburg-Klassiker wie Bootstour, Eremitage (einfach Karten vorab per Internet buchen, dann geht an den Menschenschlangen und Kreuzfahrttouristen vorbei), Auferstehungskirche und natürlich auch der Katharinenpalast nebst Anfahrt auf klassisch russischem Tragflügelboot. Excellentes Essen wieder tripadviser-gestützt und abseits der Haupt-Flaniermeile, dem Newskij-Prospekt, beispielsweise hier im Schengen.

Nach zwei Übernachtungen dann die rund 300 km nach Helsinki mit einem technischen Aussetzer auf russischer Landstraße: irgendwie kündigte das nicht immer „direkte Anspringen“ davon. Von all dem Diesel der von unserem Camper in seinem Leben besuchten Ländern hat die Einspritzpumpe zunehmend die Lust verloren, ordentlich Druck zu machen. Nach dem Besuch der russischen Werkstatt hat es zumindest bis zu Hause gehalten und letztendlich hat der Landmaschinenschlosser unseres Vertrauens eine neue Einspritzpumpe eingebaut und gleichzeitig noch alle Tanks und Leitungen endlich mal vollständig gereinigt.

Vor Abfahrt mit der Fähre dann noch Helsinki: kein Vergleich zu St. Petersburg oder beispielsweise Kopenhagen. Die Stadt ist nett für einen Tag Bummeln, Einkaufen, entspanntes Essen und vielleicht den Besuch der Zooinsel oder der alten Festung. Mehr braucht es nicht. Eine problemlose Rückreise mit der Fähre nach Travemünde bringt uns dann zurück nach Mülheim, bereit für neue Reisen. Und das klappt ja nicht immer so wie man das plant, aber jetzt bin ich gerade mal neugierig auf die eingeschobene Alternative ab April nach Marokko.

Wie immer im Abspann: bei Fragen einfach eine kurze Nachricht, mehr Bilder auf dem Instragram-Album und ein Danke an Angela, Frederike und Justus. Nicht nur das ihr wieder mit dabei wart, sondern das Reisen in Nicht-Standard-Reiseländer und der etwas anderen Komfortklasse überhaupt mitmacht.

 

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